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Unfallbedingter Erwerbsschaden bei fehlerhaft attestierter Arbeitsunfähigkeit
von Stefan König
In einem vom Bundesgerichtshof im Oktober 2024 entschiedenen Fall wurde der Mitarbeiter einer Waschstraße Anfang Mai 2019 in der Waschstaße von einem dort befindlichen Fahrzeug aus Unachtsamkeit des Fahrzeugführers angefahren und verletzt; dabei erlitt er eine offene Riss- und Quetschwunde am linken Unterschenkel, die operativ versorgt werden musste.
Nachdem sich der Geschädigte wegen dieser Verletzungen bis Mitte August in stationärer Behandlung befunden hatte, wurde ihm aufgrund der unfallbedingten Verletzungen von dem ihn behandelnden Arzt eine Arbeitsunfähigkeit bis einschließlich 14.09.2020 bescheinigt.
Der Geschädigte blieb deshalb wie vom behandelnden Arzt empfohlen bis Mitte September 2020 der Arbeit fern und erlitt infolgedessen im Zeitraum bis einschließlich 14.9.2020 einen Erwerbschaden in Höhe der Differenz zwischen seinem letzten monatlichen Gehalt und dem von ihm bezogenen Krankengeld.
Nachdem die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers trotz unstreitiger Haftung dem Grunde nach den Erwerbsschaden des Geschädigten außergerichtlich nicht übernehmen wollte, erhob der Geschädigte Klage.
Im gerichtlichen Verfahren holte das zuständige Gericht ein Sachverständigengutachten zur Klärung der Frage ein, ob die Feststellungen des behandelnden Arztes, dass der Geschädigte aufgrund der unfall-bedingt erlittenen Verletzungen bis einschließlich 14.09.2020 arbeitsunfähig war, zutreffend sind; dieses Gutachten hatte zum Ergebnis, dass beim Geschädigten lediglich von einer unfallbedingten Ein-schränkung der Erwerbsfähigkeit bis einschließlich 05.09.2019 auszugehen war.
Das vom Geschädigten vorgelegte Attest des ihn behandelnden Arztes war somit in dieser Hinsicht objektiv falsch.
Aufgrund dessen haben sowohl das Erstgericht, als auch das OLG Dresden als Berufungsgericht dem Geschädigten lediglich einen Verdienstausfallschaden bis einschließlich 05.09.2019 zugesprochen.
Der Bundesgerichtshof hat jedoch in seinem Urteil vom 08.10.2024 die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben mit der Begründung, dass der Geschädigte im vorliegenden Fall auf die Feststellung des ihn behandelnden Arztes vertrauen durfte, dass er aufgrund der unfallbedingt erlittenen Verletzungen bis einschließlich 14.9.2020 arbeitsunfähig war.
Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs besteht ein Anspruch des Geschädigten auf Erstattung des Verdienstausfallschadens nicht nur für den Zeitraum, in dem dieser objektiv arbeitsunfähig war, sondern auch für den Zeitraum, in dem er sich – aufgrund des falschen ärztlichen Attestes – subjektiv als arbeits-unfähig ansehen durfte, weil er berechtigterweise auf die ihm von dem behandelnden Arzt erteilte Be-scheinigung seiner unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit vertrauen durfte.
Der Geschädigte darf nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nur dann nicht auf eine objektiv falsche ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vertrauen, wenn er den zuständigen Arzt nicht vollständig und/ oder nicht zutreffend informiert über seine gesundheitlichen Beschwerden informiert hat, insbesondere über die von ihm subjektiv empfundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Arzt zur Grundlage seiner ärztliche Bescheinigung gemacht hat.
Das Risiko für den Umstand, dass der für die Behandlung zuständige Arzt eine hinsichtlich der Dauer der Arbeitsunfähigkeit falsche ärztliche Bescheinigung erteilt, liegt nach Ansicht des Bundesgerichtshof somit beim Schädiger und nicht beim Geschädigten.
Der Bundesgerichtshof zieht in diesem Punkt eine Analogie zu dem Fall, dass bei der unfallbedingten Beschädigung eines Kraftfahrzeuges die beauftragte Werkstatt überhöhte Reparaturkosten abrechnet; auch in diesem Fall trifft das Risiko für die überhöhten Reparaturkosten nach Ansicht des Bundesgerichts-hofs nicht den Geschädigten, sondern den Schädiger, so dass dieser dem Geschädigten die objektiv überhöhten Reparaturkosten in voller Höhe zu erstatten hat.
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